Wie finde ich die passende Tonlage für einen Song?

Transponieren für Dummies

Die Kapuze meines Hoodies tief ins Gesicht gezogen schreibe ich diesen Artikel und überlege, ob ich ihn nicht besser im Darknet veröffentlichen soll. Denn es fühlt sich regelrecht kriminell an Tools zu liefern, durch die man ohne jegliches Wissen die passende Tonlage für einen Song herausfindet.
Der richtige Weg wäre, dass sich Sängerinnen, wie Instrumentalisten auch, musikalisch fortbilden, mittels Gehörbildung und Harmonielehre mit Tonarten vertraut werden und lernen, selbst zu transponieren.

Aber was ist mit Anfängerinnen? Soll ich etwa zusehen, wie sie sich dabei quälen, Titel in Originaltonart herauszuquetschen, weil sie noch nicht wissen, dass man selbstverständlich Songs der physiologisch vorgegebenen Stimmlage anpasst? Anfänger betrachten es oft als eigene Unzulänglichkeit, wenn sie den Song im Original nicht mitsingen können. Aus Profisicht ist es, als würde eine kleine Frau in ein Auto steigen, das zuvor von einem großen Mann gefahren wurde, und sich lieber unters Lenkrad legen, um die Pedale zu erreichen, als den Sitz zu verstellen. An solche Anfängerinnen richtet sich dieser Artikel. Er ist so etwas wie eine Erste-Hilfe-Maßnahme bei drohender Selbstverletzung.

Der größte Anfängerirrtum ist der Glaube, einen Song in der Originaltonart singen zu können, wäre professionell und erstrebenswert.

Teilschuld an diesem Irrtum tragen Hobby-Instrumentalisten, die diese Behauptung gerne verbreiten. Es ist eben leichter, den leider oft völlig musikalisch ungebildeten Sängern einen Bären aufzubinden, als ehrlich zu outen, dass man unflexibel für eine andere Tonart ist, oder sich die Transponier-Arbeit nicht machen möchte. Letzteres kann ich bestens verstehen. Ich halte es auch eindeutig für die Aufgabe der Sänger, den Song zu transponieren und ein entsprechendes Sheet vorzulegen. Dies predige ich auch in meinem Unterricht, doch die meisten sind leider schlichtweg zu faul, sich damit zu beschäftigen und lassen lieber ihren Charme spielen, um die Aufgabe auf die Instrumentalisten abzuwälzen.

Kommen wir zum nächsten typischen Irrtum:

Anfänger denken oft, sie hätten eine tiefe Stimmlage, weil ihnen hohe Töne schwer fallen.

Ihnen ist nicht bewusst, dass jeder ungeübte Sänger zunächst am liebsten in dem Tonbereich singt, der durch die eigene Sprechstimme vertraut ist. Diese Töne liegen innerhalb des sogenannten Brustregisters. Aber nur, weil das Brustregister sich bei Ungeübten als Komfortzone anfühlt, heißt das nicht, dass man von Natur aus eine tiefe Stimme hat. Man darf Stimmregister und Stimmlagen nicht verwechseln. Das sind völlig verschiedene Parameter.
Man unterscheidet im Popbereich zwischen 3 Stimmlagen:

Stimmlagen

StimmlagenHochMittelTief
WeiblichSopranMezzosopranAlt
MännlichTenorBaritonBass

Die physiologische Stimmlage ist abhängig vom Körperbau.
Grob vereinfacht kann man sagen, dass große Menschen mit langen Hälsen eher Anlagen für tiefe Stimmen haben, da ihr Kehlkopf größer ist, und die darin befindlichen Stimmlippen länger sind. Umgekehrt haben zierlich gebaute Menschen eher einen kleinen Kehlkopf mit kürzeren Stimmlippen und deshalb eher eine hohe Stimmlage. Das ist jedoch sehr plakativ, denn es gibt auch kleine Menschen mit großem Kehlkopf, oder große Menschen mit kurzem Hals, etc.

Stimmregister bezeichnen, in welchem muskulären Modus Töne produziert werden. Wir unterscheiden zwischen 2 Registern: Traditionell bezeichnet als Kopfstimme und Bruststimme. Diese Bezeichnung bezieht sich auf die Schwingungsempfindung: Tiefe Töne nimmt man eher im Brustbereich wahr, während hohe Töne gefühlt im Kopf herumschwirren.
In der funktionellen Stimmpädagogik heißt die Bruststimme Massedominiertes Register, da mehr Muskelmasse der Stimmlippe an der Schwingung beteiligt ist. Die Kopfstimme heißt hier Spannungsdominiertes Register, da die Stimmlippen für hohe Töne stärker gespannt werden, um eine schnellere Schwingung zu produzieren.
Der Wechsel von einem Stimmregister in das andere findet -unabhängig von Stimmlage und Geschlecht- um die Tonhöhe e1/f1 herum statt.

Was hier wechselt, ist die Mukeldominanz. Im Brustregister werden die Stimmlippen dominant durch den Musculus vocalis verkürzt, während sie im Kopfregister dominant durch den Musculus cricothyroideus gespannt werden.
Die Identifikation unserer Stimme haftet anfangs stark am Brustregister, da hier unsere Sprechstimme zu Hause ist. Beim Singen muss man sich davon lösen, sich lediglich im Brustregister aufhalten zu wollen. Das ist, als würde man beim Autofahren immer im ersten Gang bleiben wollen. So kommt man nicht weit.
Laien glauben fälschlicherweise oft, Profis würden immer in der Bruststimme singen, weil deren hohe Lage kräftig klingt.
Das liegt jedoch daran, dass bei Profis die Kopfstimme gut trainiert, und der Klang somit differenzierter steuerbar ist. So kann eine volle Kopfstimme den klanglichen Eindruck vermitteln, sie wäre mit der Bruststimme gemischt. Das nennt man auch Mischstimme.

Um nun die richtige Tonlage für einen Song herauszufinden, probiere ihn am besten in verschiedenen Tonhöhen aus.
Wie Du das technisch bewerkstelligen kannst, erfährst Du gleich.
Dabei wird sich zeigen, ob der Song tendenziell zu hoch, oder zu tief ist. Das geht am besten durch Mitsingen, da sonst die Gefahr besteht, ungenau zu werden.
Beim Mitsingen ist es wichtig nach Leichtigkeit zu suchen, und nicht zu versuchen, schön zu klingen. Denn das geht meist nach hinten los: Man strengt sich an und hält fest, statt locker und flexibel zu bleiben. Außerdem ist es sinnlos. Eine untrainierte Stimme wird durch Anstrengung nicht besser, sondern eben nur angestrengter. Man hört die vergebliche Bemühung. Es ist besser, den jetzigen Entwicklungsstand der Stimme zu akzeptieren, und durch die Suche nach Stimmfluss und Lockerheit den Weg einer gesunden Stimmentfaltung zu ebnen.

Ausdruck / Klangfarbe

Neben den physiologischen Gegebenheiten macht es Sinn, sich auch mit der Stimmung und Textaussage des Songs zu beschäftigen. Ist er beispielsweise eher fröhlich, oder melancholisch?
Wenn wir mehrere Tonlagen für den Song als leicht singbar empfinden und eine Entscheidung suchen, zählt als nächstes, welche Klangfarbe besser zum Song passt. Ist die Stimmung eher leicht und fröhlich, passt die höhere Variante besser, da Höhe auch eine hellere Farbigkeit mit sich bringt. Bei einem traurigen Song würde ich mich für die tiefere Version entscheiden, um den Ausdruck durch eine dunklere Klangfarbe zu unterstützen.

Falls Du schon in einer Band singst, sollten letztlich die Musiker entscheiden, in welcher Deiner gut singbaren Tonarten der Song für sie am besten spielbar ist.
Du solltest wissen, dass bei Aufregung, Anspannung oder bei schlechten akustischen Verhältnissen tiefe Töne plötzlich sehr dünn werden können. Achte darauf, dass die tiefen Töne noch so stabil singbar sind, dass sie Dich auch bei Stress nicht verlassen.

So, jetzt können wir loslegen! Du brauchst folgende Zutaten:
– Einen Song, den Du gerne singen möchtest als mp3 Datei.
– Ein Karaoke oder Instrumental im Stil des Originaltitels als mp3 Datei.
– Die kostenlose Open Source Software Audacity.
https://www.audacity.de/downloads/

Original Mitsingen

Importiere das Original des Songs in Audacity.
Datei / Importieren / Audio
Mit der Leertaste kannst Du die Wiedergabe starten und stoppen.
Singe den Song im Original mit, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob er tendenziell zu hoch, oder zu tief für Dich ist. Halte dabei nicht an der Bruststimme fest, sondern erlaube den Wechsel in Deine Kopfstimme.
Versuche wertfrei und mit Leichtigkeit zu singen, und Dich vom Imitieren der Sängerin des Originals zu lösen.

Tonhöhe schrittweise ändern

Gehe oben im Menü auf Effekt / Tonhöhe ändern.
Du kannst Du den Song jetzt durch +1, +2, etc. in Halbtonschritten nach oben oder durch -1, -2 etc. nach unten pitchen. Durch erneutes Mitsingen findest Du heraus, ob die Tonlage noch immer zu hoch/tief ist, oder ob sie sich gut anfühlt.
Ich empfehle anfangs tatsächlich keine großen Zahlen einzugeben, sondern Schritt für Schritt in die gewünschte Richtung zu gehen, und den Song jeweils mindestens ein Mal mitzusingen.
Lass Dich nicht ablenken: Durch das Umrechnen der analogen Frequenzen in eine andere Tonlage werden die Klänge verfremdet. Das lässt sich nicht vermeiden. Man muß etwas aufpassen, daß man sich beim Mitsingen im eigenen Singgefühl vom seltsam verfremdeten Sound nicht beeinflussen lässt.
Hast Du eine gut singbare Tonlage gefunden, notiere Dir, wie viele Halbtonschritte Du nach oben oder unten gegangen bist!

Transponierten Song exportieren

Jetzt kannst Du den Song zum Üben in Deiner Version als mp3 exportieren.
Gehe oben im Menü auf Datei / Exportieren / Als MP3 Exportieren.

Mit transponierter Karaokeversion üben

Wenn Du die Melodie schon sicher singen kannst, und die original Sängerin nicht mehr als Orientierung brauchst, empfehle ich, ein Karaoke des Songs in Audacity zu importieren, und ihn um die gleiche Anzahl Halbtonschritte in die gleiche Richtung zu transponieren, wie das Original. Exportiere ihn als mp3, um zu üben, Deine Einsätze alleine zu finden, und die Töne sicher anzusteuern. Man bekommt zu allen gängigen Titeln Karaokeversionen zu kaufen. Bei manchen Anbietern kann man die Tonlage im Kaufprozess bereits halbtonweise anpassen, und spart sich, sie nachträglich mit Audacity zu bearbeiten. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es neben Audacity natürlich auch noch weitere Programme gibt, mit denen man die Tonhöhe von Audiofiles verändern kann, doch diese vorzustellen sprengt den Rahmen dieses Blogartikels.

Kommunikation

Möchtest Du nun Instrumentalisten gegenüber kommunizieren, in welcher Tonart Du den Song machen möchtest, solltest Du sagen, um wieviele Halbtonschritte Du ihn ausgehend vom Original höher oder tiefer gesetzt hast. Das ist eine vorübergehende Notlösung, solange Du Dich noch nicht mit Tonarten und Vorzeichen beschäftigt hast. Und während ich das schreibe, ziehe ich die Kapuze noch ein kleines Stückchen tiefer ins Gesicht und wünsche mir wirklich sehr, dass auch Du das als absolute Notlösung betrachtest, und Dich langfristig auf den richtigen Weg machst.