Eintopf
Manche Menschen behaupten, “wer Sprechen kann, kann auch Singen!”
Dabei schmeißen sie auch noch Laiensprechen mit Profigesang in einen Topf.
Differenzierter wäre eine Gegenüberstellung von Laiensprechen mit Laiensingen und professionellem Sprechen mit professionellem Gesang.
Trotzdem lasse ich mich darauf ein, dieser Behauptung auf den Grund zu gehen.
Schauen wir uns hierfür doch mal genauer an, was Sprechen und Singen gemeinsam haben, und worin die Unterschiede liegen.
Das Was und das Wie
Zwar sind für Sprechen und Singen die gleichen Muskeln beteiligt, doch die Herausforderungen sind extrem unterschiedlich.
Denn während man sich in der alltäglichen Kommunikation eher damit beschäftigt was man sagen will, so steht im professionellen Gesang eindeutig das Wie im Vordergrund.
Gesang ist ein klangerzeugendes Instrument, das zusätzlich Text einbinden kann, aber nicht muss. (Es gibt durchaus auch Gesang ohne die Verwendung von Text.)
Der Klang liefert im Idealfall den Ausdruck des Wortinhaltes.
Das ist beim Sprechen übrigens auch so, wie aktuelle Forschungen zeigen.
Interessanterweise verarbeiten Gesprächspartner das Gehörte stärker über die Art und Weise wie etwas gesagt wird (Prosodie), als über die Wortinhalte. Deshalb kommt es schnell zu Konflikten, wenn Text und Vortragsweise nicht kongruent sind. Das kennen wir alle!
Prägung
Wir sprechen heute in der Regel noch immer so, wie wir es als Kleinkind -meist durch die Mutter- vermittelt bekamen. Da Kinder imitierend lernen, übernehmen wir zunächst neben den Wörtern auch die Sprechweise und den Dialekt. Später kommen neben den elterlichen noch weitere Einflüsse hinzu, die unser Sprechmuster modifizieren. Aber wer beschäftigt sich im Alltag schon mit seinen Sprechmustern? Wir babbeln halt einfach so, wie uns der Schnabel gewachsen ist.
Ich kann nicht aufhören mich zu wundern, warum öffentliche Sprecher sich so wenig um ihr Stimmprofil kümmern. Bei bayrischen Politikern ist meiner Meinung nach Hopfen und Malz verloren!
Nähe und Distanz
Ein gravierender Unterschied zwischen Sprechen und Singen ist die stimmlich zu überbrückende Distanz. Während unsere Gesprächspartner selten weiter als 2 Meter entfernt sind, so richtet sich Gesang in der Regel an eine größere Distanz. Das erfordert eine größere Energie, Tragfähigkeit und mehr Intensität. Das zeigt sich auch in den Gesten der Singenden.
Ich möchte hier anmerken, dass es im Zeitalter der Mikrofone natürlich auch möglich ist, so zu singen, als wäre die imaginäre Person, an die der Gesang gerichtet ist, nur wenige Zentimeter entfernt. Dadurch entsteht eine gewisse Intimität. Ich wage allerdings zu behaupten, dass manche das zu ihrem Stiefel machen, weil sie stimmlich nicht in der Lage sind, mit Volumen zu singen. Ihr Spektrum an Ausdrucksstärke ist so begrenzt, dass es eher an Sprechgesang erinnert. Da müssen schon mal Effekte wie hauchen und knattern herhalten, um für ein wenig Abwechslung zu sorgen.
Sänger sind auch Musiker, oder sollten es sein!
Für Vokalisten sind musikalische Grundlagen mindestens so wichtig, wie für Instrumentalisten. Diese bringt man logischerweise nicht mit, nur weil man sprechen kann, sondern muss (oder darf) sie erlernen. Und wenn jemand Profi werden will, gehört selbstverständlich auch Musiktheorie dazu.
Zurecht werden Sängerinnen von Mitmusikern verhöhnt, wenn sie nicht mal sagen können, in welcher Tonart sie einen Song machen möchten, oder unfähig sind, die Band einzuzählen. Es ist kein Hexenwerk, das zu lernen, und wer sich dem verweigert, gehört nicht auf eine Bühne!
Musikalische Aspekte:
Intonation (Treffgenauigkeit der Töne)
Während die Töne beim Sprechen frei wählbar sind, müssen wir beim Singen vorgegebene Töne möglichst exakt treffen.
Hierfür muss ein auditives Vorstellungsvermögen entwickelt werden.
Tonhaltedauer
Dehnt einen Vokal länger, als üblich, und Ihr singt. Ohne Atemtechnik ist aber auch hier bald Schluss.
Volumen
Beim Sprechen nutzen wir unseren Resonanzraum (Raum zwischen Mundlippen und Kehlkopfeingang) nicht effektiv. Wollen wir mal lauter werden, landen wir technisch gesehen schnell beim Schreien und belasten die Stimme. Für das Singen lernen wir, unseren Resonanzraum zu erweitern, und zu nutzen.
Artikulation
Erlauben sich viele im Alltag undeutlich vor sich her zu nuscheln, so ist das beim Singen der absolute Klangkiller. Um Klangqualität zu gewährleisten, müssen Vokale und Konsonanten so gebildet werden, dass der Resonanzraum erhalten bleibt. Sprich, wir lernen völlig neue Bewegungsmuster für alle Vokale und Konsonanten.
Melodie
Um Melodien zu begreifen, und nicht als Aneinanderreihung einzelner Tonschritte zu betrachten, sind Kenntnis von Harmonien und Skalen erforderlich. Das spielt beim Sprechen keine Rolle.
Stimmumfang
Während sich der Stimmumfang unserer Alltagsstimme auf den Bereich einer Quinte beschränkt, bewegt sich eine trainierte Singstimme frei innerhalb von 3 bis 3,5 Oktaven. Mit den Tonhöhen ändert sich –wie bei anderen Instrumenten auch- die Klangfarbe. Laien sind oft verblüfft, wie groß der Klangunterschied zwischen Sprech- und Singstimme ist. Sie suchen im Gesang permanent den Klang aus der vertrauten (tieferen) Sprechstimmlage, da es noch keine klangliche Identifikation mit der höheren Lage gibt.
Register
Verweilt man beim alltäglichen Sprechen im sogenannten Brustregister, überwindet die Singstimme spielerisch die Übergänge zwischen Brust- und Kopfstimme und füllt beide Register mit guter Klangqualität aus.
Sound
Gebt mir einen Akkuschrauber in die Hand, und ich beweise Euch, dass es nicht viel nutzt ein gutes Werkzeug zu besitzen, wenn man nicht damit umgehen kann. Soll heißen: Ohne Stimmtechnik keine Soundvariationen, keine Steuerung. More risk than fun.
Rhythmik
Im Alltag versuchen wir, zu schnelles, unrhythmisches oder stockendes Sprechen auszublenden. Im Gesang ist ein gutes Timing mindestens so wichtig, wie die Töne zu treffen. Helmut Schmidt hat, finde ich, als Meister des wohl überlegten Sprechens (unfreiwillig) unter Beweis gestellt, wie wichtig Pausen sind, um Spannung zu erzeugen. Schade: Viele Anfänger empfinden Pausen als langweilig und störend. Sie fühlen den Puls noch nicht innerlich weiterlaufen und steigen quasi aus.
Tempo
Normalerweise bringt uns schnelles Sprechen außer Puste. Die Stimme wird höher und die Aussprache undeutlicher. Beim Singen sollten wir in der Lage sein, Geschwindigkeit von Hektik zu entkoppeln. Außerdem müssen wir üben, die Präzision durch hohes oder niedriges Tempo nicht zu verlieren.
Form
Ohne ein Gefühl für 4, 8, (16, 32) und 12-taktige Formen zu entwickeln und Kadenzen wahrzunehmen, sind Sängerinnen verloren und müssen mit auffordernden Blicken Ihre Mitmusiker anbetteln, ihnen den Einstieg nach einem Solo anzuzeigen.
Beim Sprechen erfassen wir eher intuitiv, wann ein Redebeitrag abgeschlossen ist, und wir wieder mit Sprechen dran sind. Aber das ist so nicht wirklich vergleichbar.
Wahrnehmung
Kommunikation findet m Alltag meist zwischen 2 Personen statt, die sich dabei ansehen. Die Ohren der Sänger nehmen während sie musizieren alle Instrumente genauestens wahr, während Ihre Augen ins Publikum gerichtet sind, sie sich aber innerlich ihr Kopfkino zum Song vorstellen, um in der Geschichte zu sein, die sie singen. Multitasking.
Ausdruck
Viele Menschen zeigen sich nicht, um unangreifbar zu bleiben, oder warum auch immer. Sie sprechen kontrolliert unaufgeregt und wirken eher kühl, zeigen keine Gefühle.
Ist das authentisch? Was will man ausdrücken, wenn man sich nicht zeigen mag?
Klar, man kann sich als cool maskieren, eine Rolle mit passendem Bühnenoutfit aneignen und einen auf Jan Delay machen. Aber kann so jemand auch berühren?
Mich nicht.
Mut
Und? Singst Du mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Du im Alltag sprichst? Oder fühlt sich das doch etwas nackter an? Ich meine, da gibt es einen Unterschied!
Fazit
Im Gesangsunterricht arbeiten wir mit einem Instrument, dass seit wir Sprechen gelernt haben in Benutzung ist und dadurch etliche unbewusst geprägte Bewegungsmuster mitbringt. Wir kommen mit einer bestimmten Körperhaltung, Atmung, Artikulation, Persönlichkeit…
Die Arbeit an der Stimme beginnt damit, diese Gewohnheiten bewusst zu machen, und durch effizientere Bewegungsmuster zu ersetzen. Dieser Prozess setzt Neugier für funktionelle Zusammenhänge und die Bereitschaft für Veränderung voraus.
Werden die neuen Bewegungsmuster geübt, sitzt die “Technik” irgendwann, und das Gehirn ist in der Lage im Singkontext darauf zuzugreifen. Um letztendlich singen zu können, bedarf es aber auch Interesse und Übung der musikalischen Aspekte.
Stimmtechnik lässt sich natürlich auch für Sprechen üben und ist besonders dann sinnvoll, wenn die Stimme mehr leisten muss, als gewohnt (z.B. akustisches Durchsetzungsvermögen).
Soll jetzt noch einer behaupten “wer Sprechen kann, kann auch Singen!”