Was ist interessant an diesem Begriff – und warum?
Im Musikkontext wird der Begriff Swing in unterschiedlicher Weise verwendet. Er bezeichnet eine Zeit – die Swingära mit ihren Bigbands und Tanzorchestern, eine Stilrichtung im Jazz – den “Swing” und eine ganz spezielle Art zu phrasieren.
Für mich persönlich steckt in diesem Begriff aber noch viel mehr.
Swing ist eine Grundhaltung, eine Einstellung, ein Geist, ein Paradoxon, nicht exakt definierbar, geheimnisvoll aber trotzdem konkret, individuell und ganz persönlich, voll Melancholie und Humor.
In diesem Artikel möchte ich versuchen, etwas von dem zu transportieren, was ich mit “Swing” verbinde. Und ähnlich wie bei einem Solo weiß man nicht, ob es gelingt – man kann es nur hoffen.
Der Begriff “Swing” heißt wörtlich übersetzt “Schaukel” und damit kommt man dem, was sich so schwer beschreiben lässt, doch schon recht nah.
Swing Phrasierung ist ein stilprägendes Merkmal und ein spezielles Spielphänomen bei der Gestaltung musikalischer Phrasen. Konkret meint es die Phrasierung der Achtelnoten.
Was sind Achtelnoten? – Ein kurzer Ausflug in die Rhythmik:
Jeder Musik liegt ein gleichmässiger Grundschlag oder Puls zugrunde. Das kann man spüren, wenn der Fuß unwillkürlich mitwippt oder mittreten will, der Kopf oder andere Körperteile das Bedürfnis haben, sich mit zu bewegen und man Lust bekommt zu klatschen, schnipsen oder zu tanzen.
Dieser Puls repräsentiert einen Notenwert – üblicherweise eine Viertelnote.
Ausgehend von dieser Basis werden durch Verdoppeln oder Halbieren größere oder kleinere Zeiteinheiten und entsprechende Notenwerte erzeugt.
Verdoppeln bzw. Halbieren geschieht mit dem Faktor zwei (also binär).
Aus der Viertelnote wird durch Verdoppeln die Halbe Note und durch nochmaliges Verdoppeln die Ganze.
Mittels Teilen durch zwei wird aus der Viertelnote die Achtel und aus der Achtel die Sechzehntel usw.
Auch im Swing wird eine Viertelnote in zwei Achtelnoten aufgeteilt. Eine der beiden fällt mit dem Grundschlag zusammen und wird als Downbeat bezeichnet, die andere Achtel befindet sich in der Lücke zwischen den Downbeats, dem sogenannten Offbeat.
Und schon sind wir mittendrin.
Swing unterscheidet sich in der Gestaltung dieser Achtel von allen, wirklich ALLEN, anderen Spielweisen und Stilen.
Das Besondere ist, im Swing sind diese beiden Achtel nicht exakt gleich, wie in anderen Spielweisen, sondern die Downbeats (Achtel auf dem Grundschlag) sind etwas länger als die Offbeats (Achtel zwischen dem Grundschlag).
Dafür werden die Offbeats durch Betonung stärker hervorgehoben.
Wie bei der Schaukel gibt es im Swing Stabilität und Flexibilität.
Die Downbeats sind stabil und die Offbeats sind flexibel und swingen schaukelnd zwischen den Downbeats.
Die Downbeats sind der Ort, in dem die Schaukel dem Boden am nächsten ist. Offbeats sind die Momente, an denen die Schaukel am instabilsten ist und am weitesten vom Boden entfernt. Hier kehrt sich die Bewegung weg vom Boden um und bewegt sich wieder zu ihm hin – der spannendste Moment beim Schaukeln.
Genau diese Momente werden im Jazz besonders hervorgehoben.
Kleiner Exkurs:
Die meisten Musikstile transportieren die stabilen Aspekte der Musik.
In der Klassik wird vorwiegend der Grundschlag betont. Offbeats (der Klassiker nennt sie Synkopen) sind dort eher selten. Für Marschmusik sind Offbeats ebenfalls kontraproduktiv. Volkslieder und Schlager orientieren sich auch eher am Grundschlag und vor allem an den stabilen Taktschlägen 1 und 3.
Angloamerikanischer Pop ist stärker Jazz-beeinflusst. Das äussert sich unter anderem darin, dass hier die instabileren Beats auf 2 und 4 mitgeklatscht werden.
Es entstehen immer wieder lustige Situationen, wenn amerikanische und englische Stars bei Auftritten in Deutschland von 1und3 – Klatschern in den Wahnsinn getrieben werden.
Swing und Notation
Wie lang genau sind nun diese swingenden Achtel?
Das akademische Bedürfniss dieses Phänomen irgendwie in den Griff zu bekommen, es genau quantifizieren und exakt bestimmen zu können, um es zu notieren, hat etliche mehr oder weniger hilfreiche Versuche hervorgebracht und erinnert an die Quadratur des Kreises.
Eine dieser Ideen besteht darin, die Viertelnote in virtuelle Sechzehntel aufzuteilen. Die Note auf dem Downbeat könnte dann als punktierte Achtel notiert werden, die Note auf dem Offbeat als Sechzehntel. Das entspricht einem Längenverhältnis von 3:1.
Diese Annäherung klingt musikalisch fragwürdig und wird von Jazzern als zickig verurteilt.
Etwas besser eignet sich die Unterteilung der Viertelnote in drei Teile. Hier kommt der Begriff “ternär” ins Spiel.
Ternär meint dreigeteilt also triolisch. Die Downbeatnote entspräche dann zwei zusammengebundenen Triolenachteln und der Offbeat der dritten Triolenachtel. Es entsteht ein Verhältnis von 2:1.
Das ist genau so kompliziert, wie es sich liest, ist aber eine deutlich bessere Annäherung. Und doch bleibt es nur eine grobe Annäherung.
Schon mal versucht in der Badewanne eine entglittene Seife in den Griff zu kriegen?
Je fester man sie packen will, desto weiter glitscht sie weg.
Swingphrasierung entzieht sich genauso dem Versuch sie exakt zu fassen, denn sie ist dynamisch, also nie gleich.
Jeder Musiker hat sein eigenes individuelles Timing und seine ihm eigene Art swingend zu phrasieren. Mal mehr, mal weniger.
Auch die Geschwindigkeit eines Stückes spielt eine entscheidende Rolle.
Je nach Tempo liegen Downbeat und Offbeat malnäherbeieinander,
mal weiter entfernt .
Je schneller das Stück, desto gerader werden die Achtel und bei ganz langsamen Balladen machen die hüpfenden Achtel auch irgendwann keinen Sinn mehr.
Swing ist nicht exakt zu fassen!
Mir persönlich bereitet der anarchistische Charakter dieser Spielart sehr viel Freude. Er passt zum Geist dieser Musik und den Individuen, die sie spielen.
Zu Swing-Musik marschieren? – unmöglich! Ich empfinde es als große Erleichterung, dass Swing nicht intellektuell zu kontrollieren ist. Dafür braucht man – im wahrsten Sinn des Wortes – Feeling.
Der Geist
Swing im Sinne einer Einstellung und Grundhaltung im Umgang mit Musik und Musikern wird eindrucksvoll dargestellt in der sehenswerten Dokumentation von Wim Wenders mit dem Titel “It must schwing”.
In der preisgekrönten Dokumentation geht es um das legendäre Blue Note Label und die Geschichte seiner Gründer, den Freunden Alfred Lion und Frank Wolff, zwei jazzbegeisterten Emigranten aus dem Berlin der Kriegsjahre.
Blue Note konzentrierte sich ausschliesslich auf amerikanischen Jazz.
Während die afroamerikanischen Musiker in den USA zu dieser Zeit nach wie vor unter Ausgrenzung und Diskriminierung zu leiden hatten, wurden sie bei Blue Note als Künstler respektiert und auch persönlich wertgeschätzt.
Alfred Lion war ein Perfektionist und mit Durchschnitt nicht zufrieden.
In einer Szene wird beschrieben, wie er die Musiker angespornt und zu Höchstleistungen gebracht hat. Mit seinem schweren deutschen Akzent, den er Zeit seines Lebens nicht ablegte, rief er ihnen zu “IT MUST SCHWING” um klar zu machen, dass der Musik noch etwas fehlte.
Dieses ‚etwas‘ war nicht die Swing-Phrasierung, denn er bezog es auch auf gerade Stücke, die nicht swingend phrasiert werden. Es musste etwas anderes sein, das der Musik ihren Zauber gab, etwas magisches.
Eine besondere Qualität der Rhythmik und des Zusammenspiels, Präzision bei gleichzeitiger Elastizität, Nuancen, die sich jeder Notation entziehen.
Ein hin-und-her-schwingen zwischen Spannung und Entspannung.
Selbst den Musikern war nicht klar, was er genau damit meinte, aber sie spürten, wenn es da war. Ein Phänomen, das nicht zu orten, zu fassen und zu definieren war, das aber trotzdem oder gerade deswegen existierte.
Eine Art von musikalischem “Flow” – obwohl man diesen Ausdruck damals noch nicht kannte.
“IT MUST SCHWING!”